Leistungen zur sozialen Teilhabe
Leistungen zur sozialen Teilhabe werden erbracht, um Menschen mit Behinderung eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 113 Abs. 1 SGB IX). Menschen mit Behinderung soll hierdurch ein möglichst selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben im eigenen Wohn- und Sozialraum ermöglicht werden.
Leistungen zur sozialen Teilhabe werden aber nur nachrangig gewährt, d.h. die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und die Leistungen zur Teilhabe an Bildung gehen den Leistungen zur sozialen Teilhabe immer vor. Deshalb kann ein Mensch mit Behinderung, der eine Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) ausüben könnte, dies aber aus grundsätzlichen Erwägungen für sich ausschließt, anstelle dieser Leistung keine Leistung der sozialen Teilhabe, etwa eine Assistenzkraft oder Leistungen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fertigkeiten bekommen.
Leistungen zur sozialen Teilhabe sind insbesondere,
- 1. Leistungen für Wohnraum,
- 2. Assistenzleistungen,
- 3. Heilpädagogische Leistungen,
- 4. Leistungen zur Betreuung in einer Pflegefamilie,
- 5. Leistungen zum Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten,
- 6. Leistungen zur Förderung der Verständigung,
- 7. Leistungen zur Mobilität,
- 8. Hilfsmittel,
- 9. Bezugsbeihilfen.
Es sind aber auch weitere Leistungen denkbar, um den individuellen Bedarf der leistungsberechtigten Person zu decken.
Für manche Leistungen ist eine gemeinsame Inanspruchnahme durch mehrere Leistungsberechtigte möglich, das sog. Poolen (§ 116 SGB IX).
Leistungen für Wohnraum (§ 77 i.V.m. § 133 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX)
Leistungen für Wohnraum sollen Menschen mit Behinderung zu Wohnraum verhelfen, der geeignet ist, ein möglichst selbstbestimmtes, eigenverantwortliches Leben zu führen. Sie umfassen Hilfen für die Beschaffung, den Umbau, die Ausstattung und die Erhaltung von Wohnraum, die den besonderen Bedürfnissen des Menschen mit Behinderung entsprechen. Behinderungsbedingte Nachteile im Wohnbereich sollen ausgeglichen werden. In Betracht kommt z.B. der Einbau einer Rampe, eines Treppenlifts oder der rollstuhlgeeignete Umbau von Wohnraum.
Darüber hinaus sind Aufwendungen für Wohnraum als Leistung der Eingliederungshilfe zu erstatten, wenn wegen bestehendem Assistenzbedarf, z.B. bei 24-Stunden-Assistenz ein größerer Wohnraum benötigt wird und die Miete daher die Angemessenheitsgrenze für die Anerkennung existenzsichernder Leistungen nach § 42a SGB XII überschreitet.
Assistenzleistungen (§ 78 i.V.m. § 133 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX)
Assistenzleistungen werden zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags einschließlich der Tagesstrukturierung erbracht. Sie umfassen
- Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags, z.B. Haushaltsführung
- die Gestaltung sozialer Beziehungen
- die persönliche Lebensplanung
- die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben
- die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten
- die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen und
- die Verständigung mit der Umwelt in diesen Bereichen.
Auch in anderen Bereichen sind Assistenzleistungen bei Bedarf möglich, z.B. Assistenz im Urlaub.
Es gibt zwei Formen der Assistenz (§ 78 Abs. 2 S. 2 SGB IX):
- die vollständige und teilweise Übernahme von Handlungen zur Alltagsbewältigung sowie die Begleitung und
- die Befähigung der Leistungsberechtigten zur eigenständigen Alltagsbewältigung.
Die Unterscheidung der Leistungen erfolgt nach den Zielen des Menschen mit Behinderung und der damit verbundenen Anforderungen an die Qualifikation des Assistenten. Assistenzleistungen zur Befähigung sind pädagogische und psychosoziale Fachleistung im Rahmen einer qualifizierten Assistenz und sind daher von Fachkräften zu erbringen (§ 78 Abs. 2 S. 3 SGB IX). Aber auch für die Leistungen zur vollständigen oder teilweisen Übernahme von Handlungen und Begleitung schließt der Gesetzgeber qualifizierte Assistenz nicht explizit aus.
Leistungen zur Assistenz umfassen auch ausdrücklich die Unterstützung von Eltern mit Behinderung bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder (§ 78 Abs. 3 SGB IX). Unterschieden wird zwischen Elternassistenz und begleiteter Elternschaft. Elternassistenz umfasst Unterstützungsleistungen für Eltern mit körperlichen Behinderungen oder Sinnesbehinderungen. Die Eltern planen die Leistungen selbstbestimmt, benötigen aber zum Durchführen der Leistungen besondere Dienstleistungen, Hilfsmittel oder Mobilitätshilfen. Der Begriff begleitete Elternschaft wird dagegen in der Regel im Zusammenhang mit Eltern mit einer seelischen oder geistigen Behinderung verwendet, sofern diese pädagogische Anleitung, Beratung oder Begleitung im Rahmen einer qualifizierten Assistenz benötigen, um ihre Rolle als Eltern wahrnehmen zu können.
Wenn die Assistenzleistung mit notwendigen Fahrtkosten oder weiteren erforderlichen Aufwendungen der Assistenzperson verbunden ist, sind diese zu übernehmen (§ 78 Abs. 4 SGB IX).
Assistenzleistungen zur Ausübung eines Ehrenamts sind in § 78 Abs. 5 SGB IX genauer geregelt. Die notwendige Unterstützung soll vorrangig durch Familie, Freunde, Nachbarn oder vergleichbare Personen erbracht werden. Eine Erstattung der Aufwendungen kommt nur dann in Betracht, wenn eine unentgeltliche Unterstützung nicht zumutbar ist.
„Leistungen zur Erreichbarkeit einer Ansprechperson unabhängig von einer konkreten Inanspruchnahme“ (§ 78 Abs. 6 SGB IX) umfassen vor allem die Rufbereitschaft, in deren Rahmen Menschen mit Behinderungen, die sonst nicht auf Assistenz angewiesen sind, in Krisensituationen die Möglichkeit haben, sich telefonisch oder persönlich Unterstützung zu holen.
Heilpädagogische Leistungen (§ 79 i.V.m. § 133 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX)
Heilpädagogische Leistungen können Kinder mit Beeinträchtigung erhalten, die noch nicht eingeschult sind (§ 113 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 79 SGB IX). Sie umfassen
- alle Maßnahmen, die zur Entwicklung des Kindes und zur Entfaltung seiner Persönlichkeit dienen,
- einschließlich der erforderlichen nichtärztlichen therapeutischen, psychologischen, sonderpädagogischen und psychosozialen Leistungen und
- die Beratung der Erziehungsberechtigten, soweit sie nicht unter ärztlicher Leitung erfolgen (§ 79 SGB IX).
Auch wenn das Gesetz heilpädagogische Leistungen nur für Kinder vorsieht, die noch nicht eingeschult sind, hat das BVerwG entschieden, dass auch eingeschulte Kinder heilpädagogische Leistungen erhalten können (BVerwG, Urteil vom 18.10.2021 - 5 C 15.11).
Heilpädagogische Leistungen können als Einzelleistungen oder Komplexleistung erbracht werden. Als übergreifende Komplexleistung sind sie Bestandteil der Leistungen zur Frühförderung und Früherkennung gemäß § 46 SGB IX.
Leistungen zur Betreuung in einer Pflegefamilie (§ 80 i.V.m. § 133 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX)
Leistungen zur Betreuung in einer Pflegefamilie werden gewährt, um Menschen mit Behinderung die Betreuung in einer anderen Familie als der Herkunftsfamilie durch geeignete Pflegepersonen zu ermöglichen. Die Leistungen sind sowohl für Kinder und Jugendliche als auch für erwachsene Menschen mit Behinderung gedacht. Um die Qualität der Pflegepersonen auch für Erwachsene zu gewährleisten, sollen die Vorgaben zur Erlaubnis zur Vollzeitpflege nach § 44 SGB VIII nicht nur in Bezug auf Kinder und Jugendliche zur Anwendung kommen, sondern auch bei Erwachsenen mit Behinderung.
Leistungen zum Erwerb und Erhalt praktische Kenntnisse und Fähigkeiten (§ 81 i.V.m. § 133 Abs. 2 Nr. 5 SGB IX)
Leistungen zum Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten werden gewährt, um Menschen mit Behinderung die für sie erreichbare Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen.
Diese Leistungen sind vor allem darauf gerichtet, Menschen mit Behinderung in Fördergruppen, Schulungen oder durch andere Maßnahmen
- zur Vornahme lebenspraktischer Handlungen einschließlich hauswirtschaftlicher Tätigkeiten zu befähigen
- auf die Teilhabe am Arbeitsleben vorzubereiten
- die Sprache und Kommunikation zu verbessern
- zu befähigen, sich ohne fremde Hilfe sicher im Verkehr zu bewegen.
Die Leistungen umfassen auch die blindentechnische Grundausbildung.
Leistungen zur Förderung der Verständigung (§ 82 i.V.m. § 133 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX)
Hilfen zur Verständigung werden für Menschen mit einer Hör- oder Sprachbehinderung erbracht, z.B. durch einen Gebärdensprachdolmetscher und anderweitige geeignete Kommunikationshilfen. Die Kommunikationshilfen-Verordnung (KHV) legt fest, was unter anderweitig geeigneten Kommunikationshilfen zu verstehen ist und welche Leistungen erbracht werden können. Allerdings sieht das Gesetz vor, dass derartige Unterstützungsleistungen nur für besondere Anlässe (z.B. Elternversammlung in der Schule) und nicht für die alltägliche Kommunikation gewährt werden.
Werden Leistungen zur Verständigung mit der Umwelt zum Zwecke der selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags benötigt, werden sie als Assistenzleistung nach § 113 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 78 Abs. 1 S. 3 SGB IX erbracht.
Leistungen zur Mobilität (§ 83 i.V.m. § 133 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX)
Leistungen zur Mobilität erhalten Menschen mit Behinderung, die aufgrund der Art und Schwere ihrer Behinderung öffentliche Verkehrsmittel nicht nutzen können. Sie umfassen
- Leistungen zur Beförderung, z.B. durch einen Beförderungsdienst, oder
- Leistungen für ein Fahrzeug.
Leistungen für ein Kraftfahrzeug werden nur erbracht, wenn der Leistungsberechtigte das Kraftfahrzeug führen kann oder gewährleistet ist, dass eine andere Person das Kraftfahrzeug stellvertretend führt. Leistungen für ein Kraftfahrzeug können auch gewährt werden, wenn Leistungen zur Beförderung nicht zumutbar oder wirtschaftlich sind.
Die Leistungen für ein Kraftfahrzeug umfassen Leistungen zur Erlangung der Fahrerlaubnis, zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs, für die erforderliche Zusatzausstattung, die Instandhaltung und den Unterhalt. Der Umfang der Leistung richtet sich nach der Verordnung über die Kraftfahrzeughilfe (KfzHV) unter Berücksichtigung von § 114 SGB IX.
Leistungen für ein Kraftfahrzeug werden aber nur dann erbracht werden, wenn der Mensch mit Behinderung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ständig auf die Nutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen ist.
Hilfsmittel (§ 84 i.V.m. § 133 Abs. 2 Nr. 8 SGB IX)
Hilfsmittel, die zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erforderlich sind, sind z. B. ein barrierefreier Computer. Erbracht wird auch die notwendige Unterweisung im Gebrauch sowie eine notwendige Instandhaltung oder Änderung der Hilfsmittel. Auch eine Doppelausstattung ist im Einzelfall möglich.
Besuchsbeihilfen (§ 133 Abs. 2 Nr. 9 i.V.m. § 115 SGB IX)
Wenn ein Mensch mit Behinderung Leistungen über Tag und Nacht erhält (z.B. in einer besonderen Wohnform oder im Internat), können er oder seine Angehörigen Beihilfen zum gegenseitigen Besuch erhalten, wenn dies im Einzelfall erforderlich ist. Bei der Besuchsbeihilfe handelt es sich um eine sogenannte Kann-Leistung, d.h. die Leistung steht im Ermessen des Trägers der Eingliederungshilfe. Bei seiner Entscheidung hat er insbesondere die persönlichen und finanziellen Verhältnisse des behinderten Menschen und seiner Angehörigen sowie die Zielsetzung der Eingliederungshilfe zu berücksichtigen.
Sondervorschrift für besondere Wohnformen (§ 113 Abs. 5 SGB IX)
Für besondere Wohnformen sieht § 113 Abs. 5 SGB IX eine Sondervorschrift für Wohn- und Heizungskosten vor. Durch das BTHG wurden Leistungen der Eingliederungshilfe und existenzsichernde Leistungen, wie Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder Hilfe zum Lebensunterhalt, getrennt. Wohn- und Heizungskosten sind aufgrund dieser Trennung der Leistungen nun explizit den existenzsichernden Leistungen zugeordnet und müssen darüber finanziert werden.
Allerdings werden im Rahmen der Grundsicherung bzw. Hilfe zum Lebensunterhalt nur Wohn- und Heizungskosten bis zu einer bestimmten Grenze übernommen. Daher besteht die Möglichkeit, dass die tatsächlichen Wohn- und Heizungskosten nicht vollständig über die Grundsicherung bzw. Hilfe zum Lebensunterhalt gedeckt werden. Deshalb regelt § 113 Abs. 5 SGB IX, dass Wohn- und Heizungskosten, die über der sogenannten Angemessenheitsgrenze nach dem SGB XII liegen, als Leistung der Eingliederungshilfe zu übernehmen sind, wenn dies wegen der besonderen Bedürfnisse des Menschen mit Behinderung erforderlich ist.
Pauschale Geldleistungen, gemeinsame Inanspruchnahme (§ 116 SGB IX)
Bestimmte Leistungen der Eingliederungshilfe können als pauschale Geldleistungen erbracht werden, nämlich:
- - Leistungen zur Assistenz zur Übernahme von Handlungen zur Alltagsbewältigung und Begleitung leistungsberechtigte Personen (§ 113 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § Abs. 2 Nr. 2 SGB IX)
- - Leistungen zur Förderung der Verständigung (§ 113 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX)
- - Leistungen zur Beförderung im Rahmen der Leistung zur Mobilität (§ 113 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 83 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX)
Dies sind Leistungen, die keiner besonderen Qualifikation bedürfen und die z.B. von Freunden oder Nachbarn erbracht werden können, die hierfür einen entsprechenden Geldbetrag erhalten. Eine Pauschalierung der Leistung kann nur mit Zustimmung des Menschen mit Behinderung vorgenommen werden, also nicht gegen seinen Willen.
Poolen
Seit 2020 können Leistungen der Eingliederungshilfe auch gemeinsam in Anspruch genommen, also gepoolt werden. Dies gilt für folgende Leistungen zur sozialen Teilhabe:
- Leistungen zur Assistenz
- Leistungen zur Heilpädagogik
- Leistungen zum Erwerb und Erhalt praktischer Fähigkeiten und Kenntnisse
- Leistungen zur Förderung der Verständigung
- Leistungen zur Beförderung im Rahmen der Leistungen zur Mobilität
- Leistungen zur Erreichbarkeit einer Ansprechperson unabhängig von einer konkreten Inanspruchnahme.
Das Poolen von Leistungen ist nur möglich, soweit es für die Menschen mit Behinderung nach § 104 SGB IX zumutbar ist und mit den Leistungserbringern entsprechende Vereinbarungen geschlossen wurden. Entscheidend hierbei ist, dass die formulierten Teilhabeziele erreicht werden können.
Kostenbeteiligung
Zu den sogenannten privilegierten Leistungen, zu denen aus Einkommen und Vermögen kein Eigenbetrag zu leisten ist, gehören aus dem Bereich der Leistungen zur sozialen Teilhabe:
- Heilpädagogische Leistungen nach § 113 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX für Kinder, die noch nicht eingeschult sind
Leistungen zum Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten nach § 113 Abs. 2 Nr. 5 SGB IX, soweit diese der Vorbereitung auf die Teilhabe am Arbeitsleben nach § 111 Abs. 1 SGB IX dienen. Hierzu zählen etwa Tagesförderstätten, in denen Menschen mit Behinderung auf die Teilhabe am Arbeitsleben vorbereitet werden. Dies gilt aber nicht für tagesstrukturierende Maßnahmen für Menschen mit Behinderung, die aus Altersgründen aus der WfbM ausgeschieden sind.