Leistungen zur Teilhabe an Bildung
Im Rahmen des BTHG wurde die „Teilhabe an Bildung“ ab 01.01.2018 als eigene Leistungsgruppe im SGB IX aufgenommen und um Leistungen für den Bereich der schulischen und hochschulischen Weiterbildung ergänzt. Jeder junge Mensch mit einer Behinderung soll, soweit möglich, die Gelegenheit haben, einen allgemeinen Bildungsabschluss zu erwerben. Der Besuch einer allgemeinbildenden Schule wird nun unabhängig davon unterstützt, ob (noch) Schulpflicht besteht oder nicht.
Es gibt vier Formen der Leistungen zur Teilhabe an Bildung:
- Hilfe zur Schulbildung, insbesondere im Rahmen der Schulpflicht einschließlich der Vorbereitung
- Hilfe zur schulischen Berufsausbildung
- Hilfe zur schulischen Hochschulbildung und
- Hilfe zur schulischen und hochschulischen beruflichen Weiterbildung
Die Leistungen zur Teilhabe an Bildung sind aber nur unterstützend. Sie dienen grundsätzlich nicht der Finanzierung der Bildung, z.B. durch Schulgeld. Sie dürfen auch nicht in die Gestaltung des pädagogischen Kernbereichs der Bildungsmaßnahme eingreifen.
Leistungen zur Teilhabe an Bildung werden nachrangig gewährt, also z.B. wenn die Schule selbst einen Bedarf an Schulassistenz nicht decken kann. Auf diesen Nachrang darf sich der Eingliederungshilfeträger aber nur berufen, wenn die Schule ihre Verpflichtung tatsächlich nicht erfüllt oder die Erfüllung zumindest ohne weiteres realisierbar ist (BSG, Urteil vom 18.07.2019, - B 8 SO 2/18 R).
Schulassistenz kann für mehrere Schülerinnen und Schüler zusammen erbracht, also „gepoolt“ werden (§ 112 Abs. 4 SGB IX). Das „Poolen“ muss aber zumutbar sein.
Hilfe zur Schulbildung
Hilfen zur Schulbildung sind im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht, zum Besuch weiterführender Schulen und zur Vorbereitung auf den Schulbesuch zu erbringen. Die Eingliederungshilfe unterstützt den Besuch behinderter Schülerinnen und Schüler an einer allgemeinbildenden Schule bis zum Abitur, unabhängig davon, ob (noch) Schulpflicht besteht oder nicht. Den Schulbesuch an sich regeln aber die Schulgesetze sowie weitere schulrechtliche Vorschriften der einzelnen Bundesländer, z.B. Sonderpädagogik-Verordnungen. Die Leistungspflicht der Träger der Eingliederungshilfe ist insoweit nachrangig.
Welche Schule ein Kind mit Behinderung besuchen kann, ob und welche Wahlmöglichkeiten die Eltern haben, regeln z.B. die jeweiligen Schulgesetze der Länder, die sehr unterschiedlich sind.
Nach § 37 des Berliner Schulgesetzes (SchulG) entscheiden die Eltern eines Kindes mit Behinderung, ob es eine Regelschule oder eine Förderschule besuchen soll.
Wenn die zuständige Schulbehörde einem Kind mit Behinderung einen Schulplatz in einer Regelschule zuweist und das Kind zum Besuch dieser Schule Schulassistenz benötigt, kann der Eingliederungshilfeträger die Schulassistenz nicht mit dem Argument ablehnen, dass die Schulassistenz bei Besuch einer Förderschule nicht notwendig gewesen wäre (BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 20/04).
Auch wenn Eltern ihr Wahlrecht ausüben und sich für eine Regelschule entscheiden, an der das Kind Schulassistenz benötigt, kann der Eingliederungshilfeträger die Schulassistenz ebenfalls nicht mit dem Argument ablehnen, dies wäre an einer Förderschule nicht erforderlich gewesen (BVerwG, Urteil vom 26.10.2007 - 5 C 35/06).
Hilfen zur Schulbildung können verschiedenste Maßnahmen umfassen, wobei die Schulassistenz in der Schule bundesweit am häufigsten genutzt wird. In Frage kommen z.B. folgende Leistungen:
- Schulassistenz
- Ganztagsangebote
- Heilpädagogische und sonstige Maßnahmen
- Schülerbeförderung
- Schulgeld
- Fernunterricht
- Kosten für ein Schulinternat
- Hilfsmittel.
Schulassistenz
Oft benötigen Kinder und Jugendliche mit Behinderung, die eine Regelschule besuchen, aufgrund ihrer Behinderung in der Schule zusätzliche Unterstützung durch eine Assistenzperson - Schulassistenz (auch Integrationsassistenz, Schulbegleitung, Integrations- bzw. Inklusionshilfe genannt). In einigen Fällen trifft dies auch auf Kinder und Jugendliche mit Behinderung zu, die eine Förderschule besuchen.
Schulassistenz als Leistung zur Teilhabe an Bildung wird aber nur nachrangig gewährt, also dann, wenn die Assistenzleistungen nicht durch die Schule erbracht werden.
Im Land Berlin wird auf der Grundlage von § 5 Abs. 1 SopädVO für Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung Schulhilfe (Maßnahmen der ergänzenden Pflege und Hilfe) als sogenannte schulorganisatorische Maßnahme erbracht. Die Ausgestaltung der Schulhilfe ist in der Verwaltungsvorschrift Schule Nummer 7/2011 (VV Schulhelfer) geregelt. Ein individueller Anspruch einzelner Schülerinnen und Schüler auf Zuweisung eines Schulhelfers gegenüber der Schulverwaltung besteht aber nicht (VG Berlin, Urteil vom 18.01.2005 – VG 3 A 1148.04, Beschluss vom 20.11.2009 – VG 3 L 1103.09).
Wenn ein Kind oder ein Jugendlicher mit Behinderung in der Schule Assistenz benötigt und diese von der Schule durch Schulhelfer oder andere Personen (wie z. B. an den Berliner Schwerpunktschulen durch Pädagogische Unterrichtshilfen oder Betreuer) nicht oder nicht in ausreichendem Maße erbracht wird, besteht gegenüber dem Eingliederungshilfeträger Anspruch auf Schulassistenz. Solange die erforderliche Maßnahme vom Schulträger tatsächlich nicht erbracht wird, ist die erforderliche Hilfe vom Träger der Eingliederungshilfe zu erbringen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.12.2005 - L 23 B1064/05 SO ER).
Immer wieder wird vor Gericht darüber gestritten, ob die konkret begehrte Schulassistenz zum „Kernbereich der pädagogischen Arbeit“ gehört. Für alles, was zu diesem Bereich gehört, ist ausschließlich die Schule, nicht die Eingliederungshilfe zuständig. Zum „Kernbereich pädagogischer Arbeit“ gehört gemäß einer Entscheidung des BSG aus 2016 der Unterricht als solches, also was gelehrt wird, mit welchen Methoden und mit welchen Lehrmitteln und wie Leistungen bewertet werden. Der „Kernbereich pädagogischer Arbeit“ wird nicht berührt, wenn die Schulassistenz die pädagogische Arbeit der Lehrkräfte nur absichert. Integrierende, beaufsichtigende und fördernde Maßnahmen der Schulassistenz, die flankierend zum Unterricht erforderlich sind, damit das Kind das Angebot der Schule wahrnehmen kann, gehören daher zum Zuständigkeitsbereich der Eingliederungshilfe (BSG, Urteil vom 09.12.2016, B 8 SO 8/15 R).
Zu diesem Kernbereich gehören z.B. nicht:
- Unterstützung bei der bewussten Fokussierung der Aufmerksamkeit auf zu bearbeitende Themen
- Bereitlegen und Nutzen von Arbeitsmaterialien
- Kommunikationsunterstützung und
- Assistenz bei Nutzung von Hilfsmitteln.
Welche konkreten Assistenzleistungen ein Kind oder ein Jugendlicher in der Schule benötigt, hängt vom Einzelfall ab. Dies kann eine Unterstützung im Unterricht, z.B. bei der Erklärung oder der Umsetzung von Arbeitsaufträgen, bei der Verwendung von Arbeitsmaterialien bzw. Hilfsmitteln oder Anleitung zur Konzentration sein. Infrage kommen aber auch Hilfen im sozialen und emotionalen Bereich, bei der Kommunikation, bei der Orientierung im Schulgebäude, beim An- und Auskleiden, bei den Mahlzeiten, bei Toilettengängen, bei der Medikamentengabe etc.
Wenn Kinder oder Jugendliche mit Behinderung sowohl Unterstützung im Unterricht, als auch im pflegerischen Bereich benötigen, vertreten Träger der Eingliederungshilfe teilweise die Auffassung, die pflegerischen Leistungen seien durch einen Pflegedienst zulasten der Pflegeversicherung zu erbringen.
Das LSG Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 28.06.2007, L 7 SO 414/07, hierzu entschieden, dass Schulassistenz eine einheitliche Maßnahme darstellt, die nicht nach den einzelnen Tätigkeiten in eine Maßnahme der Pflege und eine der Eingliederungshilfe aufgespalten werden darf. Sofern die pflegerischen Anteile in den Hintergrund treten, dient Schulassistenz insgesamt dazu, den Schulbesuch abzusichern und ist daher einheitlich der Eingliederungshilfe zuzuordnen.
Ganztagsangebote
Bei gebundenen Ganztagsschulen ist Schulassistenz für Ganztagsangebote im Bedarfsfall durch die Eingliederungshilfe zu übernehmen, weil es sich um einen verpflichtenden Bestandteil des Schulbesuchs handelt.
Auch bei offenen Ganztagschulen ist Schulassistenz nun im Bedarfsfall zu leisten, wenn die Ganztagsangebote (deren Teilnahme freiwillig erfolgt) im Einklang mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule stehen und unter deren Aufsicht und Verantwortung ausgeführt werden, an den stundenplanmäßigen Unterricht anknüpfen und in der Regel in den Räumlichkeiten der Schule oder in deren Umfeld durchgeführt werden (§ 112 Abs. 1 S. 2 SGB IX).
Heilpädagogische und sonstige Maßnahmen
Hilfen zur Schulbildung können auch heilpädagogische oder sonstige Maßnahme sein, auch wenn sie nicht in der Schule stattfinden, z.B. eine Autismustherapie, eine Petö-Therapie oder eine systemische Bewegungstherapie. Dies gilt aber nur, wenn die Maßnahme im Einzelfall geeignet und erforderlich ist, die Schulbildung zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 112 Abs. 1 S. 3 SGB IX).
Auch im Nachmittagsbereich können Leistungen zur Teilhabe an Bildung erbracht werden, wenn dies notwendig ist, um den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern (z.B. Regeltraining, Wegetraining, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsförderung etc.). Diese Leistungen werden meist durch Einzelfallhelfer erbracht.
Schülerbeförderung
Schülerinnen und Schüler mit Behinderung in Berlin können unter bestimmten Voraussetzungen nach § 36 SopädVO Schülerbeförderung in Anspruch nehmen. Ein Rechtsanspruch auf die Beförderung besteht nicht. Allerdings hat das Schulamt bei seiner Entscheidung ordnungsgemäßes Ermessen auszuüben.
Als Hilfen zur Schulbildung können die Kosten für die Schülerbeförderung nur dann in Anspruch genommen werden, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher den Schulweg wegen seiner Behinderung nicht bewältigen kann und andere Leistungen, wie die Schülerbeförderung nach § 36 SopädVO oder aber die Beförderung nach anderen landes- bzw. satzungsrechtlichen Regelungen in anderen Bundesländern nicht bedarfsdeckend erbracht werden.
Schulgeld
Wenn das Schulgeld dazu dient, den Unterricht und damit die Schulbildung als solche zu finanzieren, zählt dies nach Ansicht des BSG zum „Kernbereich der pädagogischen Arbeit“, (BSG, Urteil vom 15.11.2012 - B 8 SO 10/11 R), so dass Schulgeld nicht durch den Eingliederungshilfeträger übernommen werden muss. Das gilt selbst dann, wenn behinderungsbedingt keine geeignete öffentliche Schule zur Verfügung steht. Der Träger der Eingliederungshilfe muss aber den Anteil des Schulgelds als Leistung der Eingliederungshilfe übernehmen, der nicht der Finanzierung der Unterrichtsgestaltung dient (BSG, Urteil vom 21.09.2017 - B 8 SO 24/15 R).
Gleichwohl gibt es in der Praxis immer wieder Einzelfälle, in denen Schulgeld durch den Träger der Eingliederungshilfe übernommen wird, wenn behinderungsbedingt keine geeignete öffentliche Schule zur Verfügung steht.
Kosten für die Teilnahme am Fernunterricht
Wenn ein Kind oder ein Jugendlicher mit Behinderung wegen seiner Behinderung die Schule nicht in Präsenz besuchen kann, kommt als Leistung zur Teilhabe an Bildung auch die Übernahme der Kosten für den Fernunterricht, z.B. für eine Onlineschule in Betracht.
Internatskosten
Muss ein Kind oder ein Jugendlicher mit Behinderung wegen seiner Behinderung ein Schulinternat besuchen, z.B. weil sich am Wohnort der Eltern keine geeignete Schule befindet, handelt es sich bei den Internatskosten um eine Hilfe zur Schulbildung, die der Träger der Eingliederungshilfe finanzieren muss (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.03.2006 - L 23 B 16/06 SO ER).
Hilfsmittel
Hilfe zur Schulbildung umfasst auch Gegenstände und Hilfsmittel, die wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zur Teilnahme am Unterricht erforderlich sind, z.B. Mobilitätshilfen, barrierefreie Laptops, Software u.ä.. Auch die Unterweisung im Gebrauch, eine notwendige Instandhaltung und Änderung sowie ggf. die Ersatzbeschaffung können dazu gehören (§ 112 Abs. 1 S. 5 ff. SGB IX).
Hilfe zur schulischen Berufsausbildung
Leistungen zur Teilhabe an Bildung umfassen auch Hilfen zu einer schulischen Berufsausbildung, also den Sekundärbereich II oder die Ausbildung beispielsweise in einer Berufsfachschule (§ 112 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB IX).
Dass die Bildungsmaßnahme den Fähigkeiten und Leistungen des Menschen mit Behinderung entsprechen muss, ergibt sich aus § 90 Abs. 4 SGB IX. Eine Eignungsprüfung ist aber nicht vorgesehen, weil auch Menschen mit Behinderungen sich für weiterführende schulische und hochschulische Angebote entscheiden können sollen, ohne zuvor einen Leistung- und Befähigungsnachweis erbringen zu müssen. Die Regelungen zur Gesamtplanung bleiben davon unberührt.
Hilfe zur schulischen Hochschulbildung
Hierbei handelt es sich um Hilfen für ein Studium an Universitäten, Hochschulen und Akademien. Die Gewährung von Hilfen während eines Auslandsstudiums kommt in Betracht, wenn der Auslandsaufenthalt verpflichtender Bestandteil des Studiums ist.
Im Laufe eines Masterstudiengangs werden Hilfen auch dann gewährt, wenn zwar eine andere Fachrichtung als im Bachelorstudiengang belegt wird, der Master aber darauf aufbaut und interdisziplinär ergänzt. Hilfen für eine hochschulische Weiterbildung können auch Hilfen für eine Promotion umfassen, falls sie in begründeten Einzelfällen zum Erreichen des angestrebten Berufsziels erforderlich sind.
Kostenbeteiligung
Hilfen zur Schulbildung (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX) gehören zu den sog. privilegierten Hilfen, für die aus Einkommen und Vermögen kein Eigenbetrag zu leisten ist (§ 138 Abs. 1 SGB IX). Dies gilt seit 2020 auch für die Schulassistenz zur Unterstützung schulischer Ganztagsangebote in der offenen Form.
Für Leistungen zur schulischen oder hochschulischen Ausbildung oder Weiterbildung für einen Beruf (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX) ist hingegen nur dann kein eigener Kostenbeitrag zu leisten, wenn diese Leistungen in besonderen Ausbildungsstätten über Tag und Nacht (Internat) für Menschen mit Behinderungen erbracht werden.