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Im Leben mit einem beeinträchtigten oder chronisch kranken Kind stehen immer wieder tiefgreifende Entscheidungen an, die das weitere Leben des Kindes und der Familie beeinflussen. Welche Medikamente sind die richtigen? Welche Auswirkungen werden die Nebenwirkungen auf die weitere Entwicklung des Kindes haben? Gibt es bessere als die derzeitigen Behandlungs- und Therapiemethoden? Eltern erleben all dies als immense Verantwortung, die sie jedoch nicht ablehnen können. Um sich richtig entscheiden zu können, erlangen die Eltern mehr Wissen über die Erkrankung, hinterfragen die Therapie und suchen weitere Spezialisten für das Krankheitsbild auf. Sie erlernen notwendige Pflegetechniken und Fachwissen über die Grunderkrankung des Kindes. Dabei wachsen sie an ihren Aufgaben, bekommen mehr und mehr Kontrolle über die Situation. Sie werden Experten im Umgang mit der Erkrankung ihres Kindes. Insbesondere wenn ein Kind mit einer seltenen und komplexen Beeinträchtigung auf die Welt kommt, mit der sogar die Ärzte überfordert sind, stellt das an die Eltern die Aufgabe, selbst Spezialisten zu werden.
Informationen über die Diagnose finden
Viele Eltern schließen sich Selbsthilfeorganisationen an, um gegenseitig Erfahrungen und neue Kenntnisse zu dem jeweiligen Krankheitsbild auszutauschen. Die gesundheitliche Selbsthilfe ist zum Teil hoch professionalisiert, bei ihr wird das Fachwissen rund um ein bestimmtes Krankheitsbild gebündelt und Eltern wie Fachkräften zugängig gemacht. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Selbsthilfevereinen und Forschungszentren bietet vor allem bei seltenen Krankheitsbildern eine Möglichkeit, genügend Fallinformationen zusammenzutragen, um Krankheitsursachen zu erkennen und Therapien entwickeln zu können.
Der Dachverband der Selbsthilfe von Familien mit Kindern und jungen Erwachsenen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen heißt Kindernetzwerk e.V. Auf der Webseite des Kindernetzwerk e.V. können Eltern Informationen zu vielen Krankheiten und zahlreiche Adressen von regionalen und bundesweiten Anlaufstellen finden. Außerdem können sich Eltern in die Datenbank des Kindentzwerk e.V. aufnehmen lassen, die Kontakt zu anderen Eltern von Kindern mit der gleichen Erkrankung suchen.
Informationen über seltene Ekrankungen und Beratung diesbezüglich bietet ACHSE e.V. — die Allianz chronischer seltener Erkankungen. ACHSE e.V. ist der Dachverband von und für Menschen mit chronischen seltenen Erkrankungen und deren Angehörige. Das Berliner Zentrum für Seltene Erkrankungen (BCSE) der Charité hilft bei der Suche nach einer geeigneten Ärztin oder einem geeigneten Arzt, wenn der Verdacht auf das Vorliegen einer seltenen Erkrankung besteht.
Wichtige Informationen über seltenen Erkrankungen liefert außerdem ORPHANET, das Portal für seltene Krankheiten und die entsprechenden Arzneimittel. ORPHANET sammelt nicht nur das Wissen um seltene Krankheiten, sondern arbeitet auch daran die Diagnostik, Versorgung und Behandlung von Patienten mit seltenen Krankheiten zu verbessern. Zu ORPHANET gehören Mitglieder aus 40 europäischen Ländern sowie der ganzen Welt.
Eine weitere Anlaufstelle stellt die unabhängige Patientenberatung Deutschlands (UPB) dar. Telefonisch oder vor Ort in der Berliner Beratungsstelle bietet die UPB persönliche, kostenfreie Beratung zu gesundheitlichen und sozialrechtlichen Fragestellungen. Gemäß Sozialgesetz besteht auch für die Kranken- und Pflegekassen eine Aufklärungs‑, Beratungs- und Auskunftspflicht gegenüber ihren MItgliedern.
Eine von Eltern viel genutzte Plattform zum Austausch rund um ihre Kinder mit Beeinträchtigungen oder chronischen Erkrankungen stellt außerdem Facebook dar. In geschlossen Gruppen tauschen sie sich auch gezielt über die speziellen Krankheitsbildern oder die seltenen Erkrankungen ihrer Kinder aus.
Seltene Erkrankungen
Als selten gilt eine Erkrankung, wenn nicht mehr als 5 von 10 000 Menschen dieses Krankheitsbild aufweisen. Viele dieser Erkrankungen machen sich schon nach der Geburt oder im frühen Kindesalter bemerkbar. Meist führen sie zu dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Oft vergehen Jahre, bis eine seltene Erkrankung diagnostiziert wird, da sowohl die entsprechenden medizinischen Experten rar sind. Auch die Medikamente für Patienten mit seltenen Erkrankungen müssen häufig erste entwickelt und anschließend auf ihre Wirksamkeit getestet werden, so dass der Prozess bis zur Freigabe der Medikamente oft sehr langwierig ist. Teilweise werden daher auch Medikamente eingesetzt, die noch nicht zugelassen sind. Für viele seltene Erkrankungen bestehen leider auch noch gar keine Therapiemöglichkeiten.
Von den rund 30 000 bekannten Krankheiten gelten circa 6 000 Erkrankungen als selten. 80 Prozent dieser seltenen Erkrankungen sind genetischen Ursprungs. Um ihnen auf die Spur zu kommen, erfordert es multidisziplinäres Denken: Internisten, Neurologen, Kinder und HNO-Ärzte, Dermatologen und Humangenetiker – sie alle müssen zusammenarbeiten. Um die Wahrscheinlichkeit einer Krankheit einzugrenzen, werden die genetischen Voraussetzungen der gesamten Familie betrachtet. Denn teilweise werden die Erkranknung vererbt. Viele entstehen aber auch spontan, ohne dass familäre Ursachen bestehen. In Deutschland leben mehr als 4 Mio. Menschen mit einer seltenen Erkrankung. Die Gesamtzahl der Betroffenen ist also trotz der Seltenheit der einzelnen Erkrankungen hoch.
Sollte bei ihrem Kind der Verdacht bestehen, dass es sich um ein seltenes Krankheitsbild handelt, so ist es oftmals besonders hilfreich, alle medizinischen Daten gut sortiert zu sammeln und den unterschiedlichen beteiligten Fachärzt*innen zur Verfügung zu stellen.
Bewältigungsstrategien
Familien reagieren sehr unterschiedlich, wenn sie feststellen, dass ihr Kind eine dauerhafte gesundheitliche Beeinträchtigung haben wird. Dennoch lassen sich bestimmte Phasen des Bewältigungshandelns erkennen. Wie viel Zeit Eltern in den einzelnen Phasen verbringen, lässt sich dabei nicht verallgemeinern.
Die erste Phase ist gekennzeichnet durch die Diagnosestellung oder dem ersten Auftreten von Symptomen der Gesundheitsstörung des Kindes. Eltern erleben diese Phase meist als Schock und fühlen sich handlungsunfähig.
Erst in der zweiten Phase, mit beginnender Auseinandersetzung mit der Erkrankung ihres Kindes, zeigen sich erste Zeichen einer Anpassung. Ein Kompetenzzuwachs, verbunden mit der Annahme der Herausforderung, mit einem beeinträchtigtem Kind zu leben, tritt erst in der dritten Phase des Bewältigungshandelns ein. Den Eltern werden in dieser Phase die Auswirkung und Dauerhaftigkeit der kindlichen Gesundheitsstörung bewusst.
Normalität und Routine verbunden mit zunehmender Handlungssicherheit treten in der vierten Phase ein. In der fünften und letzten Phase erleben Eltern eine weitgehende Stabilität im Leben mit dem behinderten Kind und entwickeln eine Handlungssouveränität mit zunehmender Expertise und Spezialistentum.